Mittwoch, 19. Juli 2006

Gravierende Beitragserhöhungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)

Den gesetzlich Versicherten droht eine Beitragserhöhung von mehr als einem Prozentpunkt
Den 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten drohen im nächsten Jahr weit höhere Beitragserhöhungen als bislang bekannt. „Statt um 0,5 Prozent, wie von Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt, werden die Beitragssätze um mehr als einen Prozentpunkt steigen müssen“, sagte der Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg, Rolf Hoberg. Als Grund gab er die nach wie vor hohe Verschuldung vieler Krankenkassen an. Sie summiert sich nach Informationen aus Kassenkreisen immer noch auf knapp vier Milliarden Euro; das entspricht 0,4 Beitragssatzpunkten.

80 der rund 250 Kassen sind nach wie vor verschuldet. Sie müssen nach den in der vergangenen Woche vom Bundeskabinett verabschiedeten Eckpunkten für die Gesundheitsreform bis Ende 2007 nicht nur schuldenfrei sein, sondern auch wieder die vorgeschriebene gesetzliche Mindestreserve von 25 Prozent einer Monatsausgabe einhalten. Auch die dafür nötige rund eine Milliarde Euro müssen die verschuldeten Kassen aufbringen.

Hinzu kommen die rund sieben Milliarden Euro, die allen Krankenkassen im nächsten Jahr fehlen werden, weil der Bund 2007 Steuerzuschüsse in Höhe von 2,7 Milliarden Euro streicht und die Ausgaben den Einnahmen trotz Gesundheitsreform weiterhin davonlaufen werden. Die Chefin des Verbands der Angestelltenkrankenkassen (VDAK), Doris Pfeiffer, bezifferte den zusätzlichen Beitragsbedarf allein wegen dieser neuen Finanzierungsdefizite auf 0,7 Beitragssatzpunkte.

Damit gerät die Zusage der Bundesregierung in Gefahr, im nächsten Jahr die Lohnzusatzkosten zu senken – denn einem niedrigeren Arbeitslosenbeitrag stehen höhere Renten- und Kassenbeiträge gegenüber.

Die größten Schuldenprobleme haben die Ortskrankenkassen. Schulden von 2,3 Milliarden Euro bei zwölf Ortskrankenkassen stehen Überschüsse von rund 800 Millionen Euro bei kleineren AOKen wie Bremen, Westfalen-Lippe oder Sachsen und Thüringen gegenüber. „Selbst wenn das AOK-System, wie im Reformentwurf der Regierung vorgesehen, diese Überschüsse zur Schuldentilgung einsetzen würde, blieben 1,5 Milliarden Euro übrig“, sagt Hoberg: „Diese Summe können wir bis Ende 2007 nicht ohne Beitragserhöhungen erwirtschaften.“

Den rund 20 Millionen AOK-Versicherten stehen daher allein wegen der Altschulden Beitragserhöhungen von im Durchschnitt 0,5 Prozentpunkten ins Haus. Etwas besser sieht es bei den Ersatzkassen aus. Fünf der zehn Ersatzkassen schreiben rote Zahlen. Spitzenreiter sind mit je rund 220 Millionen Euro die Barmer und die DAK, gefolgt von der GEK mit rund 100 Millionen Euro.

GEK-Chef Dieter Hebel hat bereits die Notleine gezogen und den Beitragssatz für die rund eine Million Mitglieder zum 1. Juli um stolze 0,8 Prozent auf 13,2 angehoben. Rein rechnerisch müssten Barmer und DAK ihren Beitragssatz um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte anheben, nur um ihre Altschulden zu tilgen.

Von den rund 200 Betriebskrankenkassen schreiben noch 61 rote Zahlen von insgesamt mehreren hundert Millionen Euro. Auch diese Schulden können wegen der negativen aktuellen Finanzentwicklung nur noch durch Beitragserhöhungen ausgeglichen werden, räumt BKK-Sprecher Florian Lanz ein.

Der Stuttgarter AOK-Chef Hoberg appelliert daher an die Bundesregierung, die Frist zur Entschuldung der Kassen auf 2010 zu verschieben und auch mit dem für 2008 geplanten Gesundheitsfonds entsprechend später zu starten. Er soll das heutige Finanzierungssystem ablösen. Die Kassen sollen aus dem Fonds eine Pauschale pro Versicherten erhalten. Kommen sie mit diesem Geld nicht aus, müssen sie zusätzlich von ihren Versicherten einen Zusatzbeitrag verlangen.

Kasseninsider befürchten nun, dass viele Kassen ihre Beiträge im nächsten Jahr allein deshalb anheben werden, um die Politik zu nötigen, den Fondsbeitrag 2008 möglichst hoch festzulegen. Denn je höher der Beitrag sein werde, desto weniger Kassen würden gezwungen sein, ihre Versicherten zusätzlich zu belasten.

Bei größeren Sparanstrengungen der Regierung könnte Druck abgebaut werden. Doch die bisherigen Pläne der Gesundheitsreform hatten führende Kassen erst vor kurzem als zu gering bezeichnet.

Viel Freude bei der Vermehrung der gewonnenen Einsichten,
wünscht Ihnen Ihr Finanzscout

Klaus J. P.-Kilfitt

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