Freitag, 20. Oktober 2006

Gesundheitsreform: ein schlechter Kompromiss

Selten stand eine Reform unter solchem Erwartungsdruck, wie die aktuelle Gesundheitsreform, die seit Monaten – überwiegend negative – Schlagzeilen macht. Nach monatelangem Tauziehen zwischen den Zwangspartnern in der großen Koalition, soll jetzt angeblich ein tragfähiger Kompromiß gefunden worden sein.


Von nahezu allen Beteiligten war vehement ein Systemwechsel gefordert worden - herausgekommen ist nun ein Kompromiß, der eher das Gegenteil von dem bewirkt, was er eigentlich hätte bewirken sollen: Die Kosten steigen – sowohl für die Versicherten als auch für die Arbeitgeber. Allein dies ist vor dem Hintergrund der beständigen Diskussion um die Senkung der Lohnnebenkosten an Absurdität kaum mehr zu überbieten. Es ist gerade einmal ein paar Monate her, da versprach die amtierende Bundesgesundheitsministerin noch massive Senkungen der Krankenkassenbeiträge. Einen Beschäftigungseffekt, der durch niedrigere Sozialbeiträge in Aussicht gestellt worden war, wird diese Reform also sicherlich nicht auslösen. Die Kassen haben durch den Zuschlag auf den Regelbeitrag, den sie im Bedarfsfalle erheben können, nach wie vor die Möglichkeit, den gesetzliche festgelegten Beitragssatz nach oben zu drücken. Alle Kassen haben angekündigt, von dieser Möglichkeit Gebrauch machen zu wollen.


Mehr Wettbewerb unter den Kassen wollte der Gesetzgeber schaffen – das Gegenteil davon wurde jetzt beschlossen. Oppositionspolitiker und Fachleute sprechen bereits von der Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft und von einer Renaissance des "real existierenden Sozialismus". Ein Kuriosum, unter einer Unionsgeführten Bundesregierung.


Aber wenden wir uns den Fakten des Gesundheitskompromisses zu:

Beitragssatz: Der wird künftig einheitlich für alle Kassen politisch festgesetzt. Der Beitrag für die Arbeitgeber liegt um 0,9 Punkte unter dem der Arbeitnehmer.

Gesundheitsfonds: Dorthinein fließen Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie Steuerzuschüsse.

Risikostrukturausgleich: Der wird im Gesundheitsfonds erledigt. Aus dem Fonds erhalten alle Kassen gleiche Pauschalen je Versichertem, korrigiert um einen Faktor für Morbidität der Versicherten der Einzelkassen.

Kleine Prämie: Die muß eine Kasse bei ihren Versicherten erheben, wenn sie mit dem Geld aus dem Fonds nicht auskommt. Die Prämie beträgt maximal ein Prozent des Einkommens; bis zu einer Prämie von acht Euro gibt es keine Einkommensprüfung.

Portabilität: In der PKV werden Alterungsrückstellungen bei Wechsel des Versicherungsunternehmens mitgegeben; Folge: Mehr Wettbewerb im Versichertenbestand.

Rückkehrrecht: Ehemals PKV-Versicherte, die nicht versichert sind, können in einen sozial gestalteten Basistarif zurückkehren; keine Gesundheitsprüfung, Kontrahierungszwang.

Neue Leistungen: Mutter-Kind-Kuren und Reha-Maßnahmen werden Pflichtleistungen; für unheilbar Kranke gibt es eine palliativmedizinische Versorgung.

Honorarreform: Der EBM wird von Punkten und floatenden Punktwerten auf feste Euro-Werte umgestellt. Der Start soll kostenneutral sein, ab 2009 übernehmen Kassen das Morbiditätsrisiko.

Welche Auswirkungen wird die beschlossene Reform haben ?

Für die Patienten:


Nach 30 Jahren ist dies das erste Gesetz, das kein Kostendämpfungsgesetz ist. Es gibt keine weiteren Leistungsausgrenzungen, keine höheren Zuzahlungen - im Gegenteil: Leistungen werden ausgeweitet. Das betrifft sinnvolle Prävention, beispielsweise bei Schutzimpfungen, die die Krankenkassen bald zwingend bezahlen müssen, wenn die Ständige Impfkommission dies empfiehlt. Das gilt für die Rehabilitation, die bislang eine Ermessensleistung der Krankenkassen ist. In den letzten Jahren haben die Kassen daran unsinnig gespart. Reha wird zur Pflichtleistung. Und das gilt auch für die Palliativmedizin: Unheilbar kranke Menschen bekommen am Lebensende einen Anspruch auf qualifizierte ärztliche und pflegerische Leistungen in ihrer häuslichen Umgebung.

Für die Versicherten:


"Es wird teurer." Diese Feststellung von Bundeskanzlerin Angela Merkel wird eine Auswirkung der Reform sein. Das erklärt den Aufstand der Gesunden in der Republik. Das ist immerhin die Mehrheit. Schon im nächsten Jahr werden die Beitragssätze vieler Kassen steigen, der Druck zur Entschuldung bis Ende 2008 wächst - und natürlich werden dies die 50 Millionen Beitragszahler spüren. Kostendämpfung geht zu Lasten der Patienten. Höhere Beiträge zur Finanzierung von Medizin für Kranke verteilt sich auf mehr Köpfe. Eines dürfte allerdings als sicher gelten: die Hoffnung darauf, daß mit einer Finanzreform die gesetzliche Krankenversicherung demographieresistent wird, geht nun endgültig gegen Null. Der Aufbau eines Kapitalstocks innerhalb der GKV wird nicht kommen. Es gibt dafür zwei Ventile, mit denen die Ausgaben für Gesundheit von den Arbeitskosten entkoppelt werden können: die kleine Gesundheitsprämie und eine allmählich wachsende Steuerfinanzierung der Krankenkassen.

Für die Ärzte:


Ihre Organisationen wollen den Paradigmenwechsel, der mit dieser Reform stattfindet, noch nicht wahrhaben - auch weil der Paradigmenwechsel zaghaft vonstatten geht. Aber Tatsache ist: nach 16 Jahren gesetzlicher Budgetierung der Honorare bricht 2009 in der Vergütungssystematik für die Vertragsärzte ein neues Zeitalter an. Zeitgleich starten 2009 der Gesundheitsfonds mit der kleinen Gesundheitsprämie, der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich und der Euro-EBM für die Vertragsärzte. Zornig macht die Ärzte gegenwärtig, daß dieser EBM im wesentlichen auf der Ist-Gesamtvergütung aufsetzt und damit die als unzureichend empfundene Honorierung zur Basis der Weiterentwicklung macht. Längerfristig - und weit ins nächste Jahrzehnt hineingedacht - ist aber viel wichtiger, nach welchen Regeln die Vergütungen dynamisiert werden. Wenn ab dem Jahr 2009 das Morbiditätsrisiko von den Vertragsärzten wieder auf die Krankenkassen übergeht, dann ist dies von entscheidender Bedeutung dafür, daß die erst im nächsten Jahrzehnt demographisch bedingte Zunahme von Krankheiten nicht mehr zu Lasten der Ärzte geht.


Viel Freude bei der Vermehrung der gewonnenen Einsichten,
wünscht Ihnen Ihr Finanzscout

Klaus J. P.-Kilfitt

www.klaus-kilfitt.de
www.klaus-kilfitt.blogspot.de

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